Erfahrungsbericht: Einsatz von Windy beim Gordon-Bennet-Cup

Kolja Packard war im Rahmen des Gordon-Bennet-Cup 2019 beim Bodenteam für Mannschaften aus Belgien, Spanien und USA. Er hat windy.com – und insbesonders traj, das Trajectory-Plugin – verwendet, um die Piloten taktisch zu unterstützen. Kolja schreibt mir:

Eindrücke zum TrajektorienPlugin für Windy

Hallo Michael,

im Folgenden findest du eine Zusammenfassung über meine Erfahrungen und Eindrücke zum Trajektorien-Plugin für Windy.com, die ich im ganz speziellen Anwendungsfall für die Planung und Betreuung von Langzeit- bzw. Distanzfahrten von Gasballonen im Rahmen des diesjährigen Gordon Bennett Rennens in Montbéliard machen konnte.

Für eine gewöhnliche Gasballonfahrt sind Fahrtzeiten von 6 – 12 Stunden von Interesse. Im speziellen Falle von Leistungs- oder Wettbewerbsfahren sind auch Fahrtzeiten von mehreren Tagen möglich. Im ganz speziellen Falle des diesjährigen Gordon Bennett Rennens (eigentlich ja über die maximale Distanz, was aber natürlich auch eine lange Fahrzeit impliziert) kam es bedingt durch die Wetterlage zu Fahrten von deutlich über 72 Stunden, sogar bis zu 90 Stunden.

Ich gehe davon aus, dass bei der zahlenmäßig weit stärker vertretenen Fraktion der Heißluftballöner eher kurze Fahrten im Bereich 1-3 Stunden in einem definierten Zeitfenster in der Früh oder am Abend interessant sind.

Die möglichen Fahrtverläufe, die uns bei der Unterstützung dreier Teams (BEL1, ESP1 und USA1) bei diesem Rennen interessierten, waren also von beträchtlicher Dauer und unsere Strategie und somit die gesuchten Informationen beliefen sich schon vor dem Start auf über 80 Stunden!

Bei diesen zeitlich weiträumigen Strategieentwicklungen vor dem Start waren bereits zwei deutliche Informations- Hinzugewinne durch das Plugin ersichtlich:

1. Trajektorien basierend auf zusätzliche Wettermodellen möglich (NEMS mit Meteoblue, GFS mit windy+plugin und HYSPLIT und zusätzlich ECMWF und IconEU ausschließlich mit windy+plugin)

2. Strategien mit wechselnden Fahrthöhen waren ohne größeren Aufwand zu berechnen und auch direkt zusammen darstellbar

Zu 1.: Wie auch sonst, wenn man bei nicht eindeutigen Vorhersagelagen gerne mehrere Modelle zu Rate zieht, um zumindest über die grobe Tendenz einer Entwicklung eine zuverlässigere Auskunft zu erhalten, war es auch bei der Trajektorienberechnung ein Gewinn weitere Wettermodelle zu Rate ziehen zu können.

Zu 2.: Hier ein Beispiel zu Multilevel-Trajektorie etwa 22 Stunden vor dem Start gerechnet (eigentlich 4 Teiltrajektorien mit unterschiedlichen Höhen direkt aneinander gefügt):

Das Aneinanderfügen von Trajektorien im Detail:

(Zur Farbgebung und Kennzeichnung der Trajekorien, z.B. nach zu Grunde liegendem Modell, Weiteres unten)

Beim Rechnen solcher “Multilevel-Strategien” bzw. “Multilevel-Trajektoerien” rechnet man einfach eine Trajektorie und fügt danach eine weitere mit abweichenden Parametern an usw.

Dabei ist es sehr nützlich an einer vorhandenen Trajektorie eine Vielzahl neuer Trajektorien ansetzen zu können, und zwar nicht nur am Ende sondern an jedem beliebigen Punkt, und somit die Auswirkung von möglichen Höhenänderungen zu jedem Zeitpunkt der Fahrt (am vorausberechneten Ort) abschätzen und somit eine mögliche Strategie entwickeln zu können.

(Berechnet man alle drei Modelle, wird es schnell unübersichtlich. Hier nur ein Modell genutzt mit verschiedenen Höhen. Farben kontrastreicher gewählt. Ausgangspunkte und dazugehörige Startzeiten von Trajektorien sind ausschließlich in der Kontrolle und somit auch Fehleranfälligkeit des Benutzers.)

(drei Modelle parallel berechnet)

Da es für unsere Vorausberechnungen von vielen Stunden nicht relevant war, habe ich die Funktion des Steigens/Fallens, die das Plugin ja schon mitbringt, nicht verwendet. Uns interessierte was in einer bestimmten Höhe über längere Zeit zu erwarten war.

Je weiter wir in das Rennen kamen und sich somit parallel zur längerfristigen Vorausplanen auch kurzfristige Fragestellungen ergaben, desto mehr zeigten sich noch weitere Funktionen des Plugins als nützlich.
Für kurzfristige Vorhersagen kann es z.B. eine Rolle spielen, ob ein Wettermodell auf dessen Basis eine Trajektorie berechnet wird, schon viele Stunden alt ist oder eben kürzlich neu zur Verfügung gestellt wurde.  Die Genauigkeit der Vorhersagen der verschiedenen Modelle war im Übrigen nicht eindeutig bei einem Modell größer. Tendentiell erschienen die Trajektorien mit dem ECMWF-Modell eine gute Vorhersage zu erzielen. Im Kurzfristigen Bereich war bei größerer Aktualität das IconEU Modells auch mal näher an den eintretenden Verhältnissen gelegen.

Im Verlauf der Langfahrt war das Einblenden der Lufträume (im Plugin integriert, sonst auch über separates Plugin möglich) eine große Hilfe.

(Ziel: BEL1 am Luftraum vorbei, bzw. im Luftraum nur mit bestimmten Höhen, zu dirigieren. Die blauen Trajektorien entsprachen einer Stunde vom Berechnungszeitpunkt in der aktuellen Fahrthöhe gerechnet mit drei Modellen. Als Kontrolle dazu andere Höhen. Danach mögliche Optionen mit dem zu dem Zeitpunkt aktuellsten Wettermodell.) 

Folgende weitere Punkte sind positiv aufgefallen:
– Die Trajektorien können auf Windy mit allen von Windy zur Verfügung gestellten Daten überlagert dargestellt werden. Durch klicken auf einen Punkt der Trajektorie springt die Darstellung automatisch zu dem entsprechenden Zeitpunkt und, z.B. bei der Darstellung des Windes, auch in die entsprechende Höhe. So ist sehr gut abzuschätzen, welche Verhältnisse zu welchem Zeitpunkt der Fahrt herrschen.
– Die Handhabung der Kartendarstellung ist in Windy sehr komfortabel. Skalierbarkeit, Import anderer Geodaten,…
– Das Exportieren der Trajektorien direkt aus dem Plugin ist ebenfalls ein plus.

Natürlich habe ich durch die intensive Nutzung auch die ein oder andere Einschränkung oder ein Problem erfahren und kann mir daher auch ganz konkrete Weiterentwicklungsmöglichkeiten vorstellen.

Zwei Probleme sind im Laufe der 5 Tage aufgetreten, die ich aber beide als “erklärbar” einstufe.
1. Bei einer Berechnung von über 40 Stunden hatte ich einmal das Problem mit dem Modell IconEU, dass eine Trajektorienberechnung immer am selben Zeitpunkt (etwa 3 Tage in der Zukunft) hängen blieb und die Seite dadurch nicht mehr reagierte und ein neues Browserfenster gestartet werden musste. Mit den anderen Modellen tauchte das Problem nicht auf. Es ist ebenfalls zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr aufgetaucht, als nur noch kürzere Zeitspannen gerechnet wurden.
2. Das ein oder andere Mal war die Trajektorienberechnung verzögert, da, laut windy-Bildschirmmeldung, keine Verbindung zum Server bestand. Dies ist aber mit Sicherheit dem Internetanschluss in unserem provisorischen “ControlCenter” geschuldet gewesen. Positiv war hier, dass das Plugin dadurch nicht in einen Fehler lief sondern die Berechnung dann weiterführte, wenn die Verbindung wieder möglich war. Zu diesem Effekt kam es aber natürlich auch erst dadurch, dass das Berechnen der Trajektorien verhältnismäßig lang dauerte. Näheres dazu im Folgenden.

Der einzige für den Nutzer negative Punkt in der Nutzung des Plugins – und dies aber auch nur im Vergleich zu anderen teils kostenpflichtigen Angeboten und speziell bei Berechnungen von Trajektorien sehr langer Zeitdauer – ist die verhältnismäßig langsame Berechnung der Trajektorien.
Zur Berechnung von Trajektorien, vor allem mit mehreren Modellen gleichzeitig, um auch den Vergleich zu haben, und über eine längere Zeitdauer, benötigt  man dann schon mal 10 Minuten und mehr. Dies aber ebenso nachvollziehbar, da ich annehme, dass das Plugin einfach die jeweiligen Vorhersagezustände abruft, um die Trajektorie zu errechnen und die Berechnung ja nicht auf dem Server geschieht. Bei 3 Modellen, mit 3-4 Höhenleveln und z.B. 40 Stunden Dauer sind das dann ganz schnell mal 480 Istaufnahmen, die in Windy aufgerufen werden! Dies kommt natürlich vor allem beim Rechnen von langen Zeitdauern zum tragen. Und für die ganze Strategie musste ich 80 Stunden mit verschiedensten Varianten berechnen…
Für ein Gratistool aber immer noch ein verschmerzbarer Nachteil, der für die meisten Nutzer, die viel kürzerer Trajektorien interessieren dürfte, nicht so erheblich sein wird.

Im folgenden noch ein paar Feedbackpunkte über Fehleranfälligkeit (in der Benutzung) und Anregungen zu möglichen Weiterentwicklungen auf Grund der erfahrenen Einschränkungen:
1. Das Einstellen der Startzeit einer Trajektorie geschieht durch den Zeitregler in Windy. Diese Zeit ist “local”. Da wir generell und auch mit anderen Tools mit UTC gearbeitet haben, gab es hier immer potential sich zu vertun. Wir waren natürlich rund um die Uhr damit beschäftigt und haben unzählige Trajektorien gerechnet. Zum vermeiden einfacher Fehler wäre es aber nützlich gewesen, wenn die Startzeit der Trajektorie in UTC zumindest im Settings-Menü ersichtlich oder sogar einstellbar wäre. (Bei der fertigen Trajektorie lässt sich der Zeitpunkt dann einfach in UTC ablesen durch anklicken der Trajektorie).
2. Der Vorteil dieses Plugins liegt vor allem darin, dass man viele Trajektorien (unterschiedliche Höhen, Modelle, Startzeiten, Startorte) nacheinander berechnen und in der gleichen Oberfläche anzeigen lassen kann. So kann man ein gewünschtes Ergebnis sehr gut herausarbeiten (bester Startzeitpunkt oder -ort, Fahrthöhe, Fahrthöhenwechsel…). Auf dem Weg dahin berechnet man in der Regel einiges an Trajektorien, die man gerne wieder verwerfen möchte, andere wiederum unbedingt behalten. Den größten Zusatznutzen hätte ich darin empfunden, wenn man einzelne Trajektorien wieder löschen könnte ohne alles zu löschen. Eine solche Funkion habe ich zumindest nicht gefunden.
3. Wählt man einen Punkt auf einer Trajektorie aus, bekommt man Informationen zur Berechnung der Trajektorie und Zeitpunkt des Punktes angezeigt. Außerdem kann man den gewählten Punkt auf der Trajektorie direkt als Ausgangspunkt für weitere Berechnungen nutzen. Sehr nützlich! Kleine Verbesserung der Nutzbarkeit: Die Gesamtdauer der Trajektorie wird hier in Minuten angezeigt, also z.B. 2400 Minuten, statt in Stunden:Minuten, wie man sie vorher auch in “Settings” ausgewählt hat. Die Darstellung in hh:mm wäre praktischer.
4. Berechnet man z.B. drei verschiedene Höhen mit allen drei Modellen erhält man 9 Trajektorien. Da wird es schnell unübersichtlich. Hierzu zwei Anregungen:
4.a) Da die Trajektorien einer gleichen Höhe verschiedener Modelle immer die gleiche Farbe haben wäre eine zusätzliche Kenntlichmachung der Trajektorie nach zu Grunde liegendem Modell nützlich. (Wird die Trajektorie angeklickt, erhält man die Information dieser einen Trajektorie. Das ist aber wenig praktikabel.)

4.b) Zur besseren Unterscheidung der verschiedenen Höhen habe ich jeweils kontrastreichere Farben als die Vorauswahl gewählt. Dies ist nur nach Druckhöhen im Bereich “settings->colours” möglich, was es etwas umständlich gemacht hat. Nach Höhen in Metern wäre ebenfalls wünschenswert. Evtl. wäre direkt bei der Auswahl der “levels” die Farbauswahl praktisch.

5. Ich weiß nicht, ob es einen Weg gibt die letzte Aktualisierung eines Wettermodells aus Windy herauszulesen und mit einem  Plugin anzuzeigen. Das Wissen um den letzten Aktualisierungsstand ist zumindest sehr hilfreich um den Wert eines genutzten Modells im Vergleich zu einem anderen genauer einzuschätzen. In Windy lässt sich die Info herausfinden, nur eben mit mehreren Klicks verbunden und nicht in direkter Gegenüberstellung. Eine solche Info z.B. dort, wo man die Modelle auswählt in “Settings” wäre grandios.

Abschließend sei zu bemerken, dass ich bei Weitem nicht alle Möglichkeiten von Windy und in dem Zusammenhang auch von dem Plugin einsetzen konnte, weil ich erst sehr kurz vor dem Rennen mit dem Trajektorienplugin (übrigens über deinen Blog) in Berührung gekommen bin. In den Tagen vor und während dem Rennen habe ich mich aber wohl geschätzte 12 Stunden am Tag damit auseinander gesetzt und bin von dem Potential mehr als beeindruckt!

P.S.: Übrigens, als ich diese Zeilen schrieb wollte ich noch mal auf das Plugin zugreifen. Es war bei Windy aber nicht mehr möglich ein Plugin auszuwählen. Dies kam aber bisher noch nie vor.

Im Anhang noch ein paar “Aufzeichnungen” etc. falls von Nutzen.

Liebe Grüße,

Kolja

Author: mhaberler

nethead emeritus